Die soziale Lage in Niedersachsen: Statistikteil zur Handlungsorientierten Sozialberichterstattung 2023 erschienen
Landesamt für Statistik Niedersachsen, Pressemitteilung Nr. 089 vom 05.09.2023
- Armutsgefährdung 2022 mit 17,1% auf Vorjahresniveau
- Mindestsicherung 2021 mit 8,2% auf Tiefststand – Zuwachs für 2022 erwartet
- Wohnkostenüberbelastung trifft 2022 rund 40% der armutsgefährdeten Bevölkerung
HANNOVER. Mit dem Bericht 2023 erscheint der Statistikteil der vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung herausgegebenen Handlungsorientierten Sozialberichterstattung Niedersachsen (HSBN) zum 14. Mal. Erstellt wurde er im Landesamt für Statistik Niedersachsen (LSN).
Die aktuelle Ausgabe stellt hauptsächlich die soziale Lage im Jahr 2022 und 2021 dar. Sie kann damit kurzfristige Auswirkungen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine aufzeigen als auch noch solche aus der Corona-Pandemie. Damit kann sie mit Blick auf die aktuelle Lage Antworten darauf geben, mit welchen strukturellen Ungleichheiten die Gesellschaft und die Politik in Zeiten hoher Inflation und der Energiekrise konfrontiert sind.
Ungeachtet der Preissteigerungen und den damit verbundenen Reallohnverlusten zeigte sich im (eingeschränkten) Vergleich der beiden Vorjahre keine Niveauveränderung beim Ausmaß der am Haushaltseinkommen errechneten Armutsgefährdung. In Niedersachsen waren im Jahr 2022 rund 1,37 Millionen Menschen von relativer Einkommensarmut betroffen. Die Armutsgefährdungsquote lag somit bei 17,1% (Deutschland: 16,7%). Minderjährige Kinder und Jugendliche waren auch 2022 zu mehr als einem Fünftel (22,3%) armutsgefährdet. Dabei fiel die Armutsgefährdung im Alter (65 Jahre und älter) mit 17,9% ebenfalls überdurchschnittlich hoch aus, mit einem deutlichen Unterschied zwischen Frauen (20,0%) und Männern (15,5%).
Auf existenzsichernde Hilfen des Staates waren 2021 noch insgesamt 655.534 Menschen in Niedersachsen angewiesen und damit so wenige wie nie zuvor seit Beginn der Statistik 2006. Der Anteil an der Bevölkerung sank im Vergleich zu 2020 um 0,4 Prozentpunkte auf 8,2%.
Für 2022 zeichnet sich dagegen wieder ein Anstieg der Zahl der Beziehenden von Mindestsicherungsleistungen ab. Grund dafür sind hauptsächlich die aus der Ukraine geflüchteten Menschen, die auch einen Anspruch auf Sozialleistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII haben, wenn sie ihre Lebenshaltungskosten nicht selbst decken können. So gab es zum Beispiel im SGB II-Bezug Ende Dezember 2022 in Niedersachsen insgesamt 73.290 regelleistungsberechtigte Ukrainerinnen und Ukrainer, gegenüber 1.422 im Vorjahresmonat.
Bei vielen Haushalten führten 2022 insbesondere die Preissteigerungen im Bereich Haushaltsenergie neben hohen Mieten nicht zuletzt zu Wohnkostenüberbelastung, die Haushalte mussten also mehr als 40% ihres Einkommens für Wohnen ausgeben. Dies betraf in Niedersachsen 12,8% der Bevölkerung insgesamt und 39,1% der Bevölkerung in armutsgefährdeten Haushalten.
Schließlich waren in Niedersachsen 2022 insgesamt 6,9% der Bevölkerung und 18,5% unter dem armutsgefährdeten Teil der Bevölkerung von erheblicher sozialer und materieller Entbehrung betroffen. Sie mussten also auf viele materielle und soziale Dinge, die zum allgemeinen Lebensstandard gehören, aus finanziellen Gründen verzichten. Zum allgemeinen Lebensstandard gehört unter anderem, dass sich ein Haushalt eine Woche Urlaub im Jahr leisten kann oder, dass sich eine Person leisten kann, einmal im Monat mit Freunden etwas essen oder trinken zu gehen. Des Weiteren gehört dazu die finanzielle Fähigkeit, getragene Kleidung zu ersetzen oder sich jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit leisten zu können (weitere Kriterien können den methodischen Hinweisen entnommen werden).
Diese und viele weitere Ergebnisse unter anderem aus den Themenbereichen Demografie, Lebensformen, Bildung und Qualifikation, Wirtschaft und Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit, Einkommen und Verdienste, relative und „bekämpfte“ Armut, Gesundheit und Lebenserwartung, Kinder und Jugendliche finden sich in der HSBN wieder.
Der mit zahlreichen Abbildungen ausgestattete Statistikteil kann im Internetangebot des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung heruntergeladen werden (www.ms.niedersachsen.de > Themen > Soziales > Handlungsorientierte Sozialberichterstattung) oder unter http://www.sozialberichterstattung-niedersachsen.de.
Die HSBN liefert sozialpolitisch wichtige Regionaldaten und Analysen und wird nach den Informationsbedürfnissen der Akteurinnen und Akteure der Armutsbekämpfung in Politik, Verwaltung und Verbänden laufend fortentwickelt. Den regional und kommunal Handelnden wird verlässliches Vergleichsmaterial für ihre Region an die Hand gegeben. Im Mittelpunkt steht die Berichterstattung über die Entwicklung der Armut in Niedersachsen. Dabei bedeutet Armut mehr als nur Einkommensarmut oder -ungleichverteilung, sondern auch die mangelnde Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Methodische Hinweise:
Unter Mindestsicherungsleistungen werden in der Sozialberichterstattung folgende existenzsichernde finanzielle Hilfen des Staates zusammengefasst:
Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld: ab 2023 „Bürgergeld“), die Sozialhilfe nach dem SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) und die Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).Als armutsgefährdet gelten alle Personen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 60% des regionalen Durchschnitts, gemessen am Median. Dabei werden die Haushalte oder Personen ihrem Einkommen nach aufsteigend sortiert. Der Median ist der Wert, der die Bevölkerung in genau zwei Hälften teilt. Das heißt, die eine Hälfte hat mehr, die andere weniger Einkommen zur Verfügung.
Der AROPE-Teilindikator (At Risk Of Poverty or social Exclusion; Quelle: EU-SILC als Unterstichrobe des Mikrozensus) zur „materiellen und sozialen Deprivation“ geht der Frage nach, wie viele Menschen sich bestimmte Dinge aus finanziellen Gründen nicht leisten können, die von den meisten Menschen für eine angemessene Lebensführung jedoch als wünschenswert oder notwendig angesehen werden. Darunter fallen Ausgaben für 1) Hypotheken- oder Mietschulden oder Rechnungen für Versorgungsleistungen; 2) eine angemessene Beheizung der Wohnung; 3) unerwartete Ausgaben (2022: 1 150 Euro); 4) regelmäßige warme Mahlzeiten (jeden zweiten Tag) mit Fleisch oder pflanzlichem Eiweiß; 5) jährlich eine Urlaubsreise; 6) ein Auto; 7) abgewohnte Möbel zu ersetzen, 8) abgetragene Kleidungsstücke durch neue (nicht Second-Hand-Kleidung) zu ersetzen, 9) mindestens zwei Paar passende Schuhe in gutem Zustand zu besitzen; 10) wöchentlich einen geringen Geldbetrag für sich selbst aufzuwenden; 11) regelmäßige Freizeitaktivitäten (auch wenn diese Geld kosten); 12) mindestens einmal im Monat mit Freunden/Familie für ein Getränk/eine Mahlzeit zusammenzukommen; 13) eine Internetverbindung zu haben.
Erhebliche materielle und soziale Entbehrung (Deprivation) liegt vor, wenn 7 der 13 Kriterien aufgrund der Selbsteinschätzung des Haushalts beziehungsweise der Person erfüllt sind.
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